Das goldene Zeitalter Andalusiens wurde von abnehmender Bedeutung abgelöst: Andalusien blieb im Zeitalter der Industrialisierung eine weitgehend von landwirtschaftlichem Großgrundbesitz geprägte Region mit großer Armut und vielen Tagelöhnern. Erst unter Franco begann mit dem Aufbau des Massentourismus an der Mittelmeerküste ein wirtschaftlicher Aufschwung, der jedoch keine Rücksicht auf die Natur nahm - und seit 2008 unter der Wirtschaftskrise leidet, die wieder zu sehr hoher Arbeitslosigkeit führte.
Teil 4: Von den Bourbonen bis heute
Als Carlos II. im Jahr 1700 als letzter spanischer Habsburger kinderlos starb und in seinem Testament die spanische Krone dem Bourbonen Felipe von Anjou, dem Enkel Louis' XIV, zuschrieb, waren das deutsche Reich, England und Holland alarmiert: Frankreich würde damit eine Weltmacht werden, größer als Spanien es je war. Sie wollten daher einen österreichischen Habsburger, Karl III., auf den spanischen Thron setzen. Der daraufhin einsetzende Spanische Erbfolgekrieg (1700-1714) gab den Engländern - die 1684 das seit 1661 als Stützpunkt am Eingang des Mittelmeeres gehaltene Tanger aufgeben mussten - auch die Gelegenheit, im Jahr 1704 Gibraltar zu erobern, das bis heute britisch blieb. Als 1711 Joseph I., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und Bruder Karls III., starb, wurde dieser als Karl VI. Kaiser - da nun eher Österreich zu mächtig werden drohte, erkannten auch die Briten Felipe als König an (der dafür unter anderem den Briten des Eigentum an Gibraltar zugestand). Die Bourbonen förderten Wissenschaft, Gewerbe und Handel, letzteren auch durch ein gewaltiges Schiffbauprogramm; unter Carlos III (1759-1788) wurde auch die Inquisition eingeschränkt. Die Bourbonen zentralisierten jedoch die politische Macht in ihrem Reich, und Andalusien verlor viel von seiner Eigenständigkeit.
Unter Carlos IV. wurde das Land zu einem Spielball Napoleons. Im Jahr 1805 verlor Andalusien seine gerade neu erbaute Flotte als Verbündeter Frankreichs in der >> Schlacht von Trafalgar gegen Admiral Nelson. Als die Franzosen Spanien im Feldzug gegen Portugal als Aufmarschgebiet benutzten und in Madrid einmarschierten, kam es in Spanien zu Aufständen - dieser Kleinkrieg wurde "Guerilla" genannt -, die im Jahr 1808 im Spanischen Unabhängigkeitskrieg mündeten, der bis 1814 andauerte. Beim andalusischen Ort Bailén konnten die spanischen Truppen den Franzosen 1808 eine schwere Niederlage bereiten, aber nicht verhindern, dass diese Madrid erreichten. Die aus Madrid geflohenen Politiker sammelten sich in Cádiz und bildeten eine verfassungsgebende Versammlung, die Cortes de Cádiz. Sie erarbeiteten eine liberale Verfassung und verkündeten diese im Jahr 1812. Viele ihrer Ideen sollten später von anderen liberalen Regierungen aufgegriffen werden - aber in Spanien wurde sie von dem nach Napoleons endgültiger Niederlage gegen Wellington im Jahr 1814 aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrten Fernando VII. nicht anerkannt; vielmehr wurden die bürgerlich-liberalen Bemühungen unterdrückt. Nach Fernandos Tod flammten die Gegensätze zwischen Monarchisten und Liberalen in den Karlistenkriegen (1834-1839, 1847-1849 und 1872-1876) immer wieder auf.
Entscheidend für die weitere Entwicklung des Landes war der ab 1835 beginnende Verkauf von Kirchen- und Gemeindeland, um die Staatskassen aufzufüllen. Das neben dem Großgrundbesitz existierende kollektiv bearbeite und genutzte Gemeindeland war bis dahin die Existenzgrundlage der Bauern. Mangels Geld hatten sie keinerlei Möglichkeiten, beim Verkauf mitzubieten. So waren sie praktisch über Nacht zum rechtlosen Tagelöhnern geworden und litten unter bitterer Armut. Meist waren sie nur wenige Monate im Jahr zu Hungerlöhnen beschäftigt. Kein Wunder also, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem blühenden Banditenwesen kam. Überfälle auf die Landsitze der Reichen, Diebstahl der Ernte und Auflauern der Handelstransporte waren das Markenzeichen der bandoleros, die oftmals einen Robin-Hood-ähnlichen Ruf genossen und auf Sympathie und Komplizenschaft in weiten Teilen der Bevölkerung zählen konnten. Im Jahr 1844 wurde als Reaktion hierauf die Guardia Civil, eine paramilitärische Polizeitruppe gegründet. Sie machte den Banditen bald den Garaus und spielte auch eine äußerst unrühmliche Rolle bei den blutigen Niederschlagungen der Landarbeiteraufstände in den Jahren 1857 und 1861. Politisch fanden die Ideen des russischen Anarchisten Bakunin große Verbreitung unter den Landarbeitern Andalusiens.
Im Jahr 1868 wurde die Monarchie gestürzt, aber schon 1874 wurde sie nach einem konservativen Staatsstreich erneut installiert. Der Versuch einer Industrialisierung Andalusiens hatte angesichts der überlegenen katalanischen und asturianischen Industrien keine Chance, und so setzte das andalusische Kapital vor allem auf Landbesitz und Agrarproduktion, angewiesen auf die Verfügbarkeit billiger Tagelöhner. Diese organisierten sich in Andalusien besonders in der 1910 gegründeten anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT, die die radikale Umwälzung der Eigentumsverhältnisse auf dem Land forderte. Im Zuge der russischen Oktoberrevolution kam es auch in Andalusien zu Unruhen und Streiks, worauf im Jahr 1919 eine komplette Division nach Andalusien gesandt und der Ausnahmezustand verhängt wurde. Die unruhigen Jahre bis 1923 endeten mit der Diktatur des Generals Miguel Primo de Rivera. Spaniens Neutralität im ersten Weltkrieg hatte dem Land einen wirtschaftlichen Aufschwung beschieden, und der in Jerez de la Frontera gebürtige Rivera wollte dem Land etwas von seinem früheren Glanz zurückgeben. Sein Lieblingsprojekt wurde die für 1929 geplante Ibero-Amerikanische Ausstellung in Sevilla, für die eine Reihe Bauten wie das Hotel Alfonso XIII. und die Ausstellungsgebäude am Plaza de America erstellt wurden. In dem Maße, in dem der wirtschaftliche Wohlstand jedoch wieder schwand, wuchs auch die Opposition gegen Primo de Rivera, bis dieser schließlich 1930 zurücktrat.
Bürgerkrieg und Diktatur
Bei den Gemeindewahlen und den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung im Jahr 1931 siegten die Republikaner. Spanien wurde eine repräsentative Demokratie, die Umsetzung einer Agrarreform verzögert sich jedoch. Bei den Wahlen im Jahr 1933 bleiben die Anarchisten den Urnen fern, es siegten die Rechten, die die Reformen umgehend wieder zurücknahmen. Es kam zu schweren Unruhen und schließlich zur Auflösung des Parlaments; bei den Wahlen 1936 siegten die zur Volksfront zusammengeschlossenen Linksparteien. Deren Agrarreform konnte nicht mehr umgesetzt werden, denn im Juli kam es zum Aufstand der Generäle Franco und Mola, dem Beginn des spanischen Bürgerkriegs.
Franco, der mit Legionären und Truppen aus (dem seit 1912 als Protektorat zu Spanien gehörendem) Spanisch-Marokko von Cádiz aus nach Norden vorstieß, konnte Westandalusien fast ohne Widerstand einnehmen, während die Republikaner Ostandalusien zunächst halten konnten. Die Aufständischen wurden von Deutschland (Legion Condor) und Italien militärisch unterstützt, die Regierung von Frankreich, der UdSSR und internationale Freiwilligen-Brigaden. 1939 endete der Bürgerkrieg, der Millionen das Leben kostete, die Franco-Diktatur begann. Während der Diktatur waren die andalusischen Großgrundbesitzer eine der Stützen General Francos. Sie verkauften ihre Produkte auf dem Schwarzmarkt und machten dabei riesige Gewinne. Die Produktion in der Landwirtschaft wurde mechanisiert, die Landarbeiter waren dadurch zur Emigration gezwungen. Zunächst gingen sie in den Norden, nach Madrid oder Barcelona etwa. Ab 1953 wurde die außenpolitische Isolation der Diktatur durchbrochen, die USA schlossen ein Stützpunktabkommen mit Spanien. In der Folge emigrierten die Andalusier auch ins Ausland, meist nach Frankreich, in die Schweiz oder nach Deutschland. Insgesamt verließen mehr als 1 Million Andalusier bis Mitte der 70er Jahre ihre Heimat, andere fanden Arbeit als Bauarbeiter oder Kellner an der Costa del Sol, wo in den 60er Jahren der Tourismus-Boom begann.
Vom Übergang zur Demokratie bis heute
Nach Francos Tod im Jahr 1975 begann die transición, der Übergang zur Demokratie. Der noch von Franco als sein Nachfolger bestimmte langjährige König Juan Carlos leitete die ersten Schritte ein, von der Zulassung der Sozialistischen Arbeiterpartei und der Kommunistischen Partei sowie freien Wahlen im Jahr 1977. Bei einem Putschversuch im Jahr 1981 trat Juan Carlos den Putschisten entschlossen entgegen - was dem König noch heute in Spanien hohes Ansehen einbringt. Andalusien ist seit 1981 autonome Region des nun demokratischen Spaniens; 1982 gewann die Sozialistische Arbeiterpartei PSOE (eine sozialdemokratische Partei) unter dem Sevillano Felipe González die Wahlen. Ebenfalls 1982 wurde Spanien in die NATO, 1986 in die Europäische Gemeinschaft (EG) aufgenommen.
Andalusien war, wohl vor allem wegen seiner sozialen Probleme, aber auch wegen der Rolle Felipe González’ als Ministerpräsident, lange ein Bollwerk der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE. 1984 gab es eine Agrarreform, zur Enttäuschung der Radikalen ändert sie jedoch kaum etwas an den Eigentumsverhältnissen, sondern setzte in erster Linie auf Produktivitätssteigerungen - Andalusien soll das "Kalifornien Europas" werden. Dennoch konnte sich die PSOE, die seit 1996 bei landesweiten Wahlen in Andalusien nicht mehr die stärkste Partei war, regional an der Regierung halten - nicht zuletzt ein Verdienst des seit 1990 regierenden Manuel Chaves: Auch wenn die Arbeitslosigkeit mit 18 Prozent immer noch überdurchschnittlich hoch war, ermöglichten EU-Gelder Andalusien den Aufbau einer Infrastruktur aus neuen Bahnlinien - zuletzt wurde im Jahr 2008 Málaga an Hochgeschwindigkeitstrasse Madrid-Sevilla angeschlossen -, neuen Straßen und modernen Flugplätzen; ein Aufbau, der auch von Großereignissen wie der Weltausstellung EXPO 1992 in Sevilla gefördert wurde; und die Einführung einer Arbeitslosenversicherung für Landarbeiter, mit der in den 1980er und 1990er Jahren die schlimmste Armut beseitigt werden konnte. (Andererseits machten europäische Subventionen die Großgrundbesitzer noch reicher.)
Einen einzigartigen Aufschwung nahm aber nur - wie im gesamten Mittelmeerraum - der Tourismus. Dabei zogen nicht nur Urlauber, sondern auch deutsche, britische und skandinavische Pensionäre insbesondere an die Küste, um ihren Lebensabend im warmen Mittelmeerklima zu verbringen. Damit profitierten die Mittelmeerländer vom zunehmenden Wohlstand in Nordeuropa; viele Europäer konnten sich jetzt Urlaub am Mittelmeer leisten, das zudem von großen Touristikunternehmen aggressiv vermarktet wurde. In Andalusien - und hier insbesondere die Costa del Sol - entstanden ab Anfang der 1960er Jahre, als Urlaubsflüge immer erschwinglicher wurden, riesige Bettenburgen an der Mittelmeerküste. Auf die natürliche Schönheit der Küste wurde dabei keine Rücksicht genommen; der Preis für die Umwelt - etwa für die im Sommer ohnehin strapazierte Wasserversorgung - war auch sonst sehr hoch. Nachdem seit den 1990er Jahren mit erschwinglichen Fernreisen auch die Zahl amerikanischer und japanischer Touristen zunahm, versuchen heute viele Orte, vom Massentourismus wieder wegzukommen und auf Qualität zu setzen - eine geringere Zahl wohlhabendender Gäste lässt mitunter mehr Geld im Land als der Massentourismus. Andalusien fördert daher den seit Ende der 1990er Jahre kräftig wachsenden Städtetourismus, um Städte wie Sevilla, Córdoba und Granada zu vermarkten, und hat auch den Inlandstourismus entdeckt - der etwa durch die Markierung von Wanderwegen gefördert werden soll.
Die starke Abhängigkeit vom Tourismus hat aber auch dazu geführt, dass Andalusien besonders unter der die südeuropäischen Länder besonders treffenden Wirtschaftskrise seit 2008 leidet: im Jahr 2013 war Andalusien mit 36,3 Prozent die europäische Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit; die Jugendarbeitslosigkeit betrug sogar 66 Prozent. Die Schwierigkeiten sind zum Teil selbstverschuldet, denn immer deutlicher wird das Ausmaß von Korruption, das in den Boomjahren bis 2008 Einzug gehalten hat und mittlerweile zur Verurteilung prominenter Politiker geführt hat: So wurde Marbellas ehemaliger Stadtpräsident Julián Muñoz wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Zur Zeit läuft ein Ermittlungsverfahren gegen zahlreiche PSOE-Politiker, darunter die aus Andalusien stammende ehemalige Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank, Magdalena Álvarez Arza, die seit den 1980er Jahren hunderte Millionen EURO europäischer Hilfsgelder für Unternehmen und Arbeitslose an parteinahe Günstlinge umgeleitet haben sollen.
Betroffen ist Andalusien zudem aufgrund seiner Nähe zu Afrika ähnlich wie die zwischen Nordafrika und Sizilien gelegene Insel Lampedusa von einer großen Zahl an Flüchtlingen aus Afrika: Jährlich kommen mehrere Tausend Menschen nach Andalusien, oft von illegalen Schleusern in der Nacht aus kleinen Booten am Strand abgesetzt. Viele bezahlen den Versuch der Überfahrt mit dem Leben. Weitere tausende Menschen versuchen jedes Jahr über die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla nach Europa zu gelangen. Manche von den Überlebenden bleiben in Andalusien, wo sie oftmals illegal in der Landwirtschaft oder als Reinigungskräfte Arbeit finden.
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© Jürgen Paeger 1993 - 2014